Im Fußball kann es manchmal extrem schnell gehen - in beide Richtungen. Am 1. Oktober besiegte Rot-Weiss Essen den Drittliga-Spitzenreiter Dynamo Dresden noch mit 3:1 und verwandelte die randvolle Hafenstraße in ein Tollhaus. Die Mannschaft wurde nach dem Abpfiff für einen leidenschaftlichen Auftritt zurecht gefeiert.
An diesem Samstag, nur sechs Tage nach dem besagten Dresden-Coup, hatte sich die Stimmung an der Hafenstraße um 180 Grad gedreht. Was war passiert? Zunächst kassierte RWE unter der Woche eine 0:4-Klatsche in Unterhaching. Trotzdem wurde die Mannschaft mit Applaus verabschiedet, sie hatte noch genug Kredit vom Spiel gegen Dresden. Was dann aber am Samstag gegen den SC Verl folgte, brachte das Fass zum Überlaufen.
RWE ließ sich im eigenen Stadion von einem Drittligisten aus dem unteren Tabellenmittelfeld düpieren und wurde mit 0:5 regelrecht zerlegt. Erstmals in dieser Saison kippte dabei auch die Stimmung.
Bereits zur Halbzeit gab es Pfiffe, da stand es "erst" 1:0 für den Sportclub. Der Grund dafür war nicht das Ergebnis, sondern die lethargische Spielweise der Essener: kein Tempo, keine Ideen, keine Durchschlagskraft. Zu diesem Zeitpunkt ahnten die Zuschauer nicht, dass das Schlimmste noch kommen sollte.
In der zweiten Halbzeit fehlte dann alles. Teils peinliche Abwehrpatzer und fehlende Zweikampfbereitschaft führten zu vier Gegentoren in nur 20 Minuten. Ein Aufbäumen war nicht zu erkennen.
Die Mannschaft hat den Kredit mit den letzten beiden Spielen endgültig verspielt, sie ist jetzt in der Bringschuld. Denn an der Hafenstraße sind die Tugenden Zweikampfstärke, Laufbereitschaft, Aggressivität und Einsatzwillen gefragt. Bringt die Mannschaft diese Tugenden auf den Platz und verliert, wird sie aufgemuntert, weil die Zuschauer dafür ein gutes Gespür haben. Werden diese Basics nicht abgerufen - wie in Unterhaching und gegen Verl - wird sie völlig zu Recht kritisiert.
Dabrowski hatte kein glückliches Händchen
Aber auch Cheftrainer Christoph Dabrowski war bei dieser Niederlage mit in der Verlosung. Er setzte vorne im Sturmzentrum auf Moussa Doumbouya und dafür musste Ron Berlinski auf der Bank Platz nehmen. Berlinski wäre für das risikoreiche Aufbauspiel seines Ex-Klubs als intensiver Anläufer eigentlich prädestiniert gewesen - zudem hatte er in den letzten beiden Heimspielen gegen Regensburg und Dresden gute Leistungen geboten.
Doumbouya wirkte dagegen vorne völlig verloren, hatte keine Bindung zum Spiel und konnte die Verler überhaupt nicht unter Druck setzen. Die Taktik, dem spielstarken Sportclub im Spielaufbau komplett das Feld zu überlassen, ging gründlich in die Hose.
Dazu kamen die Wechsel viel zu spät. Berlinski und Leonardo Vonic wurden erst eingewechselt, als die Partie mit 0:3 schon entschieden war. Aaron Manu, der im zweiten Durchgang für den verletzten Felix Bastians seine Drittliga-Premiere feierte, stand völlig neben sich und erwischte einen katastrophalen Tag.
Für diese denkwürdige Klatsche war in erster Linie natürlich die Mannschaft, aber eben auch Trainer Dabrowski verantwortlich, der gegen Dresden noch für seine taktische Ausrichtung gelobt wurde.
RWE muss schnell die Kurve bekommen, sonst wird es richtig ungemütlich
Einmal mehr wurde deutlich, dass die Offensive von Rot-Weiss Essen einfach zu harmlos ist. Nur neun Tore in zehn Spielen sprechen eine deutliche Sprache. Nicht ohne Grund wurde während der zweiten Halbzeit Ex-Torjäger Simon Engelmann mit Sprechchören gefeiert.
Der Publikumsliebling hatte für RWE in 117 Spielen 72 Treffer erzielt und konnte nicht gleichwertig ersetzt werden. Man hat den Eindruck, dass den Essenern aktuell einfach die Mittel fehlen, sobald sie in Rückstand geraten und mehr für das Spiel investieren müssen. Wenn dann die zuletzt starke Defensive zweimal derart neben der Spur steht, wird es für RWE schwer, in der Liga überhaupt zu punkten.
Fakt ist, dass die Spieler, unabhängig von der fehlenden Durchschlagskraft in der Offensive oder der taktischen Ausrichtung, nicht nochmal so einen blutleeren Auftritt an der Hafenstraße hinlegen sollten. Sonst droht es richtig ungemütlich zu werden.
Es bleibt zu hoffen, dass die Mannschaft ihre Lehren aus dem Debakel zieht - und bald wieder Felix Götze und Vinko Sapina zurückkehren. Dass die beiden Leistungsträger nicht zu ersetzen sind und dem Kader schlicht die Qualität in der Breite fehlt, wurde am Samstag klar deutlich...